Solarstrom nimmt in der Schweiz Fahrt auf. Noch 2015 war der Anteil an der gesamten Stromproduktion gemäss des Schweizerischen Fachverbands für Sonnenenergie «Swissolar» mickrige 1.9 %. Bis Ende dieses Jahres könnte sich das aber schon fast verdoppeln. Damit auch die Menschen in Bern ihren Beitrag leisten können, legen sich Melanie Mettler, Matthias Egli und Aline Trede von Sunraising ins Zeug.
Fast alle Menschen in Bern haben ein Dach über dem Kopf. Doch den meisten gehört es nicht – sie sind bloss Mieter*innen. Und weil ihnen kein Dach gehört, können sie darauf auch keine Solarpanels installieren. Wollen sie sich trotzdem für Solarenergie einsetzen, müssen sie entweder den ökologischen Strommix von Energie Wasser Bern (ewb) bestellen oder sich in einer Genossenschaft zusammentun und mit viel Eigenaufwand irgendwo gemeinsam eine Anlage realisieren. Beides irgendwie unbefriedigend.
Die Lösung ist einfach. Sunraising organisiert die Solaranlagen und interessierte Menschen aus dem Quartier können einen Quadratmeter – oder auch mehr – davon für die nächsten 20 Jahre kaufen. Das Ganze ist furchtbar unkompliziert, weil Sunraising mit dem lokalen Stromlieferanten ewb zusammenarbeitet. Wer also einen Quadratmeter Solarpanel «besitzt», bekommt ganz automatisch auf der Stromabrechnung die entsprechende Gutschrift. Und der Twist an der Sache: Die Solaranlagen stehen nicht irgendwo, sondern auf den Dächern mitten in den Quartieren. So können Menschen «ihre» Anlage besuchen, bei der Einweihungssause dabei sein und die Stadt dadurch ein bisschen nachhaltiger machen.
Von der Idee zur Challenge
«Mit Melanie habe ich mal beim Feierabendbier über die Dächer geschaut und gedacht: Das kann doch nicht sein, dass es in der ganzen Stadt Bern kaum Solaranlagen gibt», erinnert sich Matthias an die Initialzündung des Projekts. Der gelernte Umweltingenieur sitzt in der sonnigen Lounge des Impact Hub Bern und erzählt, warum ihm die Sache am Herzen liegt: «Solarstrom ist ein wichtiger Pfeiler der Energiewende und dort wollen wir etwas bewegen. Vor allem ist es ein Bereich, in dem jede und jeder etwas beitragen kann.»
Die Energiewende geht uns also alle an. Und doch ist unser Bezug zur Stromproduktion nur sehr gering. Wir sehen den dampfenden Kühlturm des Atomkraftwerks Gösgen, wenn wir von Bern nach Zürich düsen. Wir staunen über die riesige Staumauer, wenn wir im Valle Verzasca wandern gehen. Aber damit hat es sich auch schon. «Leute engagieren sich gerne lokal», meint Matthias mit seiner bedachten Stimme. «Wenn man die Sache sieht und spürt, dann kommen Emotionen ins Spiel und Menschen beginnen sich untereinander auszutauschen.»
Genau diese Emotionen wollen sie auch dieses Jahr wieder in einer Challenge hervorlocken. Dabei treten die einzelnen Quartiere gegeneinander an und versuchen, als erstes 100 Quadratmeter «voll zu machen». So möchten Matthias, Melanie und Aline nahe bei den Menschen sein. Denn so entstehe eine ganz besondere Nähe und Identifikation, die besonders wichtig sei für eine solche Bürger*innen-Initiative. Lokale Künstler*innen geben Konzerte für «ihr» Quartier und im Lokalradio wird zusätzlich Stimmung gemacht.
Die Nähe macht’s
«Die lokale Verankerung ist sehr, sehr wichtig», erklärt Matthias, der schon früh von der Kraft von Wind, Wasser und Sonne in den Bann gezogen wurde. «Schon als Kind habe ich Wasserräder gebastelt.» Melanie und er hoben gemeinsam vor zwei Jahren den Verein Sunraising aus der Taufe – nach einem Jahr stiessen dann mit Michael und Adrian zwei weitere Mitstreiter dazu. Mit Melanie war von Anfang an eine Expertin für soziale Innovation mit von der Partie. Die doktorierte Anglistin hat bereits «Social Innovation Bern» mitbegründet und bringt bei Sunraising kommunikative Aspekte ein. Die Kombination mit dem technischen Wissen von Matthias brachte ideale Voraussetzungen.
Vor einem Jahr haben sie sich dann mit Aline Trede jemanden an Bord geholt, die sich mit Kampagnen bestens auskennt. Eine grosse Bereicherung mit einer motivierenden Backstory. Denn Matthias erzählt, dass die Auswahl bei der damaligen Bewerbung extrem schwer war. Es gab einfach zu viele talentierte und begeisterte Leute. Doch das riesige Interesse lieferte auch die Bestätigung, dass sie mit ihrer Idee einen Nerv getroffen hatten.
Seit letztem Sommer haben sie dann den Impact Hub Bern gleich zur Homebase für ihr «Hobby» gemacht. Denn Sunraising ist vor allem eins: Viel Freiwilligenarbeit. «Wir wollten uns nicht immer in einem neuen Café treffen», witzelt Matthias. Und wenn man viel alleine arbeiten müsse, sei es einfach cooler, in einem Co-Working zu sein. Nebst dem guten Kaffee gebe es hier guten Kontakt zu interessanten Menschen, die immer wieder neue Ideen aufkeimen lassen. Dieser Innovationsinkubator ist für eine nachhaltige und moderne Zukunft unverzichtbar.
Auch das zeigt wieder, wie wichtig den Dreien die lokale Nähe ist. Denn nicht nur unser Strom braucht ein gutes und nachhaltiges Netzwerk, sondern auch die vielen Menschen und Ideen, die der Energiewende auf die Sprünge helfen.