Auf den Spuren der Schweizer Seide

Ueli Ramseier, Gründer von Swiss Silk gibt uns am Wohlensee in die Schweizer Seidenproduktion

Vor einiger Zeit fand der zweite Teil der Eventreihe zum Thema «Kreislaufwirtschaft in Fashion & Textilien» statt. Ueli Ramseier, der Gründer von Swiss Silk, war einer der Referierenden. Nach seinem spannenden Talk wollten wir mehr über das Projekt herausfinden und besuchten ihn dazu auf seiner Plantage am Wohlensee. Übrigens: Teil drei dieser Eventreihe zum Thema nachhaltiger Konsum findet am Samstag, 14. August statt, inkl. Berner Stadt-Tour.

«Das hat was Nussiges, nicht?» Ueli schaut uns herausfordernd an, während er genüsslich auf einem frischen Maulbeerblatt herumkaut. «Probiert einmal! Wenn wir da selbst gerne reinbeissen, dann mögen's die Raupen bestimmt auch.» Wir stehen auf seiner 0.3 Hektaren umfassenden Maulbeerbaumplantage mit Blick auf den Wohlensee. Hier werden in der Hochsaison pro Tag rund 100 Kilogramm Maulbeerbaumblätter für die vier Mahlzeiten von 20'000 hungrigen Bombyx Mori, der domestizierten Seidenraupe, geerntet.

Ueli, Gründer von Swiss Silk und Sol, Kommunikations-Mitarbeiterin vom Impact Hub Bern, degustieren Maulbeerbaumblätter. Bild: Noreen Illi

Sol Kislig, Impact Hub Bern: Was passiert mit den Maulbeerbaumblättern, die hier geerntet werden? Wie wird daraus Seide?

Ueli Ramseier, Swiss Silk: Sie werden an Seidenraupen verfüttert. Diese sind jedoch nie direkt auf den Bäumen, sondern im Raupenstall. Am Anfang sind sie noch winzig, am Schluss so lang wie mein Mittelfinger. Die Raupen nehmen in dieser Zeit das 10'000-fache ihre Gewichts zu. Dann spinnen sie sich von aussen gegen innen in ihren Kokon ein, während dem sie innerhalb von drei Tagen rund 2'000 Meter Seidenfaden produzieren. Darauf beginnt der Prozess der Metamorphose, in dem sich die Raupe zuerst in eine Puppe verwandelt und sich selbst dabei verdaut – Histolyse nennt man das – und seine Raupenorgane komplett abbaut. Was übrig bleibt, ist eine amorphe Eiweissmasse mit Zellinformationen, aus der sich dann ein Falter zusammensetzt. Der Falter würde das Kokon dann durchbrechen, indem er es mit einer alkalischen Flüssigkeit auflöst. Dann würden sich die Falter paaren, das Weibchen noch kurz Eier legen, und dann beide sterben. Das wäre der natürliche Prozess. Aber für die Seidenproduktion wird das Kokon dann, wenn die Raupe eine Puppe ist, geerntet und abgetrocknet, sodass sich die Puppe nicht weiterentwickeln kann. So ist das Kokon dann haltbar und kann im Winter, wenn es keine Maulbeerbaumblätter zur Raupenaufzucht gibt, zu Seide verarbeitet werden. Dazu wird der Kokon in unserer Werkstatt abgewickelt, wodurch wir Rohseide erhalten. Wir verkaufen die Puppen als Tierfutter. So geht auch bei uns dieses wertvolle Wesen nicht verloren. Bei der Seidenproduktion wird generell nichts weggeworfen; auch das Material, das beim Abhaspeln – dem Abwickeln des Seidenfadens vom Kokon – entsteht, wird zu Schabseide verarbeitet. Und wenn man den Prozess zu Ende denkt: Seide ist eine Proteinfaser und kann daher am Ende ihres «Gebrauchs» auch kompostiert werden – insofern sie nicht mit Nylon oder anderer Kunstfaser vernäht wird.

Die Puppen der Seidenraupe haben einen hohen Nährstoffgehalt und werden als Tierfutter weiterverwendet. Bild: Noreen Illi
«Dieser hohe Stundenlohn kommt nur zustande, weil wir ein anderes Wirtschaftsmodell haben und uns in dieser Nische befinden, in der es genug Leute gibt, die finden, dass unsere Arbeit so viel wert ist.»

Das klingt nach einem faszinierenden, aber auch sehr aufwändigen Prozess. Lohnt es sich?

Ja, der lohnt sich in verschieden Hinsichten. Erstens lohnt er sich finanziell: Wir verdienen auf unserem Betrieb mit der Seideraupenaufzucht einen Stundenlohn von 25 Franken. Darin sind keine Direktzahlungen oder Subventionen enthalten. Das ist ein sehr guter Ansatz für die Landwirtschaft, wo der durchschnittliche Stundensatz mit Subventionen, die etwa 40% ausmachen, bei ungefähr 19.50 Franken liegt. Dieser hohe Stundenlohn kommt nur zustande, weil wir ein anderes Wirtschaftsmodell haben und uns in dieser Nische befinden, in der es  genug Leute gibt, die auch finden, dass unsere Arbeit so viel wert ist.Zweitens lohnt es sich auch in der Hinsicht, dass wir etwas ausprobieren können, das sich der traditionellen Marktlogik entzieht. Wir haben keine Marktpreise, sondern Produzentenpreise. Wir rechnen den Aufwand mit unserem angestrebten Stundenlohn und daraus resultiert der Produktpreis. Deshalb ist die Seide, die wir produzieren, etwa achtmal so teuer wie der Weltmarktpreis. Ausserdem machen wir keine Verträge, nur mündliche Zusagen. So bauen wir ein Vertrauensverhältnis in der Produktionskette auf. Das passt irgendwie besser zu diesem integrierten Wirtschaftsverständnis, in dem der Mensch eine grosse Rolle spielt.

Dieser Seidenfaden wird aus zwölf Kokons gesponnen. Bild: Noreen Illi

Eine Folgefrage wäre gewesen, wie dann Schweizer Seide auf dem internationalen Mark kompetitiv bleiben kann. Aber das scheint in dem Fall gar nicht euer Ziel zu sein.

Nein, überhaupt nicht. Deshalb werden wir auch immer klein bleiben. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht unser Wirtschaftssystem umkrempeln werden. Aber wir möchten gerne ein Beispiel dafür sein, wie man in einer Nische auch wirtschaften kann. Das machen wir jetzt seit 14 Jahren, uns gibt es noch und die Nachfrage ist da, wir können immer verkaufen, was wir produzieren. Es scheint aufzugehen.

Aber eben auch nicht mit diesem Wachstumsanspruch.

Nein, diese Wachstumslogik sollte man grundsätzlich kritisch hinterfragen. Wenn man kreislaufwirtschaftlich denkt, kommt man automatisch ziemlich schnell mal zum Regionalen. Ein global angelegtes Geschäftsmodell, das den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft entsprechen soll, erscheint mir eine grosse Herausforderung. Indem wir eine sehr kleine Marge auf unseren Produkten haben und keine Aufschlagskalkulation machen, können wir die Verkaufspreise so ansetzen, dass sie mit einem durchschnittlichen Schweizer Lohn erschwinglich sind.

«Wenn man kreislaufwirtschaftlich denkt, kommt man automatisch ziemlich schnell mal zum Regionalen.»

Du sagst, es braucht mehr lokale Initiativen. Eine solche hast du ja selbst mit Swiss Silk gestartet.

Ja, dieser Verein ist aus einer Not heraus entstanden. Ich bin gelernter Bauer, aber hatte kein Land. Deshalb war für mich klar, dass ich, sobald ich etwas Land bekomme, etwas daraus machen muss, das viel Wertschöpfung gibt. Da kommt man sowieso direkt zu den Nischenprodukten: Beeren, Reben, Nüsse oder Seidenproduktion. Zum andern bin ich auch Textilingenieur.  Aus diesem Mix heraus ist die Idee entstanden, in die Seidenproduktion einzusteigen. Im Verein sind Hersteller:innen, so wie Verarbeiter:innen und Käufer:innen als Mitglieder vertreten.

Ausserdem formuliert Swiss Silk Richtlinien für eine nachhaltige Seidenproduktion.

Genau, denn Insekten fallen in der Schweiz nicht unter das Tierschutzgesetz, weshalb es keine Regeln dazu gibt, wie mit ihnen umgegangen werden darf und soll. Aber unser Grundprinzip, alles Lebendige wertzuschätzen, schliesst natürlich Insekten mit ein. Dies hat uns dazu motiviert, Regeln für den Umgang mit den Seidenraupen festzulegen. Beispiele dafür sind, wie mit kranken Seidenraupen umgegangen wird, wie der Abtrocknungsprozess abläuft, welche Standards die Nahrung der Raupen, also die Maulbeerbäume erfüllen müssen, dass die Raupen nicht mit Antibiotika behandelt werden dürfen und genug Sonnenlicht erhalten sollen… Diese Richtlinien werden von allen Produzent:innen, die an uns liefern wollen, unterschrieben. Wir kontrollieren dann deren Einhaltung als Zertifizierungsorganisation. Ich kenne kein anderes Land, das Standards für die Seidenraupenproduktion hat. Wir sind wahrscheinlich also weltweit die ersten.

«Unser Grundprinzip, alles Lebendige wertzuschätzen, schliesst natürlich Insekten mit ein. Dies hat uns dazu motiviert, Regeln für den Umgang mit den Seidenraupen festzulegen.»

Gibt es noch weiter Faktoren, die zur Kreislauffähigkeit eurer Seidenproduktion beitragen?

Wenn man von der Plantage in den Stall wechselt, sieht man dort unsere Aufzuchtmaterialien. Die Kartonwaben, in denen die Kokons entstehen, sind 12 Jahre alt. Sie werden immer wieder desinfiziert und wiederverwendet. Die Inkubatoren sind aus alten Getränkekühlschränken, Computerlüftungen und Aquariumheizungen von der Müllhalde gebaut, sind das Ergebnis eines Upcyclings. Die Aufzuchtbecken haben wir Secondhand von Japan eingekauft. Ausserdem ist die gesamte Seidenproduktion nicht sehr energieintensiv.

Der Raupenstall ist bereit für die erste Aufzucht der Saison. Bilder: Noreen Illi.

Wo kann man eure Seidenprodukte kaufen?Wir haben eine sogenannte Bauernhoflinie. Das ist das, was man bei uns und in den Hoflädeli unserer Produzent:innen kaufen kann. Das ist ungefähr ein Viertel unserer Produktion. Die Idee hinter dem Gedanke, dass man diese Produkte nicht in «normalen» Läden kaufen kann, ist, dass nur die Leute damit Gewinn machen sollen, die auch mit der Seide gearbeitet haben. Ein reiner Handelsgewinn würde mit unseren tiefen Margen nicht funktionieren. Ein weiterer Teil unserer Produktion geht als Garn oder Meterware an verschiedenste Leute, beispielsweise an Designer:innen wie Rafael Kouto und Janine Grubenmann. Dann gibt es einen Teil, der in die Trachtenproduktion fliesst. Und der letzte Teil geht in die Medizinaltechnologie. Die Kokons werden an Hightech-Unternehmen verkauft, die daraus flüssige Seide machen. Aus der werden dann beispielsweise künstliche Bandscheiben gefertigt.

Dieser wunderschöne Schal ist aus Schweizer Seide gefertigt. Bild: Noreen Illi.
«Es ist alles viel zu billig! Eine Seidenbluse für 39.- kann nicht sozial oder nachhaltig produziert worden sein.» 

Wenn man Seidenprodukte kauft, die nicht aus Schweizer Seide sind: Gibt es etwas, worauf man achten muss? Oder Indikatoren, die zeigen, dass die Produktionsbedingungen okay sind?

Ganz einfach: Der Preis. Es ist alles viel zu billig! Eine Seidenbluse für 39.- kann nicht sozial oder nachhaltig produziert worden sein. In 55 Ländern wird weltweit Seide produziert, in 53 davon wird Seide subventioniert. Diese Subventionen fliessen jedoch meistens leider nicht zu den Bauern, sondern irgendwo in die Verarbeitungskette, damit das Produkt dann günstiger auf den Markt kommt. Solch tiefe Preise entstehen gezwungenermaßen durch ausbeuterische Verhältnisse.

Wo siehst du Swiss Silk und die Schweizer Seidenproduktion in 10 Jahren?

Wir wollen eine Manufaktur bauen. Dazu sind wir momentan am Gelder sammeln und auf der Suche nach passendem Land. Die Idee ist es, damit das bereits Erreichte etwas zu stabilisieren. Momentan ist relativ viel von mir abhängig. Aber irgendwann muss man mich auch ersetzen, ich werde bald mal pensioniert.Des weiteren wollen wir qualitativ noch besser werden. Ein bisschen müssten wir auch noch quantitativ wachsen, damit wir alle Kund:innen beliefern können, die sich für unser Produkt interessieren. Als Letztes – und das ist meine Herzensangelegenheit – möchte ich die Schweizer Seidenproduktion breiter vernetzen. Bereits jetzt sind wir mit 14 Ländern in Europa und Afrika im Austausch, aber das Bedürfnis für eine Plattform für Seidenbauern und -bäuerinnen ist definitiv gross.

Möchtest du gerne mehr zum Thema kreislauffähige Textilien und nachhaltigem Konsum erfahren? Der nächste vom Impact Hub Bern organisierte Event zu diesem Thema findet am 14. August 2021 statt, inklusive Berner Stadttour. Hier kannst du dich dafür anmelden. Die Anlässe finden im Rahmen von Circular Economy Transition statt, eine nationale Initiative von Impact Hub Switzerland. Circular Economy Incubator | Hast du auch ein Unternehmen oder ein Projekt, dass sich mit der Kreislaufwirtschaft befasst oder befassen möchte? Dann informiere dich über die dritte Ausgabe des Circular Economy Incubator. Einreichungen ab jetzt offen. Infomittags-Anlass virtuell am 3. September, Infos dazu hier.

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